Wolfenbütteler Memorandum 2020

Die Heimat im Herzen, die Zukunft im Blick – 70 Jahre Arbeitskreis Landeshut

Im Jahre 1950 konstituierte sich der Arbeitskreis Landeshut anlässlich des ersten Kreisheimattreffens der Heimatvertriebenen aus dem östlichen Riesengebirge in Wolfenbüttel und entwickelte sich sehr bald zu deren Interessenvertretung. In der unmittelbaren Folgezeit übernahmen 1951 die Stadt Wolfenbüttel für die Stadt Landeshut und 1952 der Kreis Wolfenbüttel für den Kreis Landeshut die Patenschaft.

Seit Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts knüpften einzelne Vertreter der Vertriebenengeneration die ersten Bande zu den im Landeshuter Raum verbliebenen Deutschen, aber auch zu den dort mittlerweile sesshaft gewordenen Polen.

Die politische Wende in Polen ermöglichte 2001 eine vom Arbeitskreis Landeshut maßgeblich mitinitiierte Städtepartnerschaft zwischen Wolfenbüttel und Landeshut/ Kamienna Góra. Damit endete in gewisser Weise ein in der Nachkriegszeit begonnenes Kapitel der Geschichte, und ein neues wurde eröffnet.

Bei allen Wandlungen im Verhältnis zum Osten hielten und halten uns bis heute Patenstadt und Patenkreis die Treue. Darüber hinaus gelang es dem Arbeitskreis, ein stabiles, dialogfreudiges und zunehmend vertrautes Verhältnis zu wichtigen politischen und kulturellen Entscheidungsträgern in der alten Heimat zu etablieren. Davon zeugen die Übergabe der Heimatstube als Dauerleihgabe an das Webereimuseum in Landeshut/ Kamienna Góra im Jahre 2013 und die deutsch-polnische Feier des 40. Kreisheimattreffens in Landeshut/ Kamienna Góra im Jahre 2017.

So können wir nach 70 Jahren eine zufriedenstellende Bilanz ziehen. Gleichzeitig müssen wir aber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass die sog. Erlebnisgeneration, die in den vergangenen Jahrzehnten den Arbeitskreis geprägt und getragen hat, dafür nun nicht mehr zur Verfügung steht und die Nachkommen mehr und mehr in die Verantwortung gerufen sind. Das stellt uns vor die grundsätzlichen Fragen, ob nach 70 Jahren eine Weiterarbeit noch sinnvoll ist und welche Vision dieser zugrundeliegen könnte.

Diesen Fragestellungen haben sich die Mitglieder des Arbeitskreises Landeshut auf ihrer Sitzung am 18. 7. 2020 in Wolfenbüttel ausführlich gewidmet und sich in großer Einmütigkeit zu einer Weiterarbeit bekannt. Noch birgt das deutsch-polnische Verhältnis, im großen wie im kleinen, ein u. A. n. noch nicht voll ausgeschöpftes Verständigungspotential in sich. Gerade in den letzten Jahren häufen sich auf Regierungsebene Missverständnisse, aber auch unterschiedliche Vorstellungen einer gemeinsamen europäischen Zukunft. Davon ausgehende Gefährdungen für die schon erreichte Versöhnung zwischen Deutschen und Polen wollen wir im Blick auf das Landeshuter Gebiet verhindern. Wir lassen uns dabei von dem Gedanken leiten, dass die Begegnung von Mensch zu Mensch einer wirklichen Versöhnung am dienlichsten ist. Weiterhin glauben wir, dass die Menschen, deren Wurzeln in Stadt und Kreis Landeshut liegen, und die Menschen, die sich dort nach dem II. Weltkrieg verwurzelt haben, einen natürlichen gemeinsamen Bezugspunkt besitzen, von dem sich ein ebenso gemeinsames Interesse an einer guten Entwicklung dieses Gebietes ableitet. Das uns einende Verbundensein mit einem kleinen Stück dieser Erde kann so im wahrsten Sinne des Wortes eine Polen und Deutsche verbindende „Weltanschauung“ stiften, in deren Lichte sich alle Unterschiede in der Lebensart relativieren. Deshalb wollen wir in der Zukunft noch intensiver mit den polnischen Bewohnern im Landeshuter Gebiet zusammenarbeiten, zusammen feiern und uns so gegenseitig näher kommen. Dabei soll der Arbeitskreis Landeshut selber auch in sich und seiner Struktur dieses Näherkommen glaubwürdig verkörpern. So haben wir bereits damit begonnen, polnische Mitglieder in unsere Reihen aufzunehmen, und hoffen, dies auch in der Zukunft fortsetzen zu können, um so selbst zu einem deutsch-polnischen Forum zu werden.

Wir stellen in den letzten Jahren erfreut fest, wie sich die polnischen Bewohner mehr und mehr wirklich im Ostriesengebirge beheimaten und dabei die deutsche Vergangenheit als Teil ihrer eigenen ansehen. Dies wollen wir fördern und begleiten. Genauso notwendig erscheint uns ein dementsprechendes Bemühen unsererseits, die inzwischen 75-jährige polnische Gegenwärtigkeit im östlichen Riesengebirge als Teil der historisch gewachsenen Identität unserer Heimat zu bejahen, um aus dieser Akzeptanz heraus eine gemeinsame europäische Zukunft zu entwickeln. Dabei müssen wir bekennen, dass uns dort, wo unsere heimatlichen Wurzeln liegen, auch manches fremd geworden ist. Dieses Fremdsein wollen wir mit Hilfe unserer polnischen Freunde überwinden. Das wird umso besser gelingen, je stärker wir der polnischen Bevölkerung nicht nur als Touristen und Gäste willkommen sind, sondern in ihrem Lebenshorizont als Teil der gemeinsamen Heimat angesehen werden. Dies wollen wir uns durch ungebrochenes Engagement für die gemeinsame Heimat und durch noch stärkeres Einfühlungsvermögen in die uns manchmal noch fremde polnische Lebenswelt erarbeiten.

Unser Tun soll aber nicht nur heimatlicher Selbstbezogenheit dienen, sondern im Dienste der Völkerverständigung insgesamt stehen. Dabei kommt in unseren Augen der deutsch-polnischen Freundschaft für die Verwirklichung des europäischen Gedankens eine hohe Bedeutung zu. Aus diesem Grunde ist uns die Städtepartnerschaft zwischen Wolfenbüttel und Kamienna Góra ein Herzensanliegen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, uns nach Kräften in diese einzubringen und diese damit zu stärken. Danken möchten wir schließlich allen, die unsere Arbeit in den letzten 70 Jahren unterstützt haben, natürlich zuerst der Patenstadt und dem Patenkreis. Sie waren uns und unseren ausgetriebenen Vorfahren eine zuverlässige Ersatzheimat. Das werden wir nicht vergessen! Im Bewusstsein bleibender Treue unserer Paten blicken wir nun stärker in den Osten. Wir tun dies ohne Bitterkeit, ohne nationalistische Revanchegelüste, ohne Ansprüche irgendwelcher Art, sondern in der Freude derer, die sehen, wie vieles sich in den letzten Jahren zum Guten gewandelt hat, und im Bewusstsein, dort auf eine immer größere Zahl von Freunden zu treffen, die unsere Heimatliebe verstehen, teilen und mit uns gemeinsam eine gute Zukunft für die Stadt und den Kreis Landeshut/ Kamienna Góra anstreben.

Wolfenbüttel, den 18. 7. 2020

Arbeitskreis Landeshut